Zurück im Atlantik – Ein Törn unter Adrenalin

Zurück im Atlantik – Ein Törn unter Adrenalin

25. April 2023 Aus Von Hans

25.04.23, Cadiz, Tag 1023, 5240 sm von Stavoren 

Heute ist es so weit. Wir verlassen nach fast genau 2 Jahren wieder das Mittelmeer und fahren von Gibraltar nach Cadiz. Jetzt ist wieder der Atlantik für geraume Zeit unser Segelrevier.

Mit einem Segelboot ist dieser Törn an sich schon eine Herausforderung, hat man doch in der Straße von Gibraltar an mehr als 300 Tagen im Jahr Starkwind von mehr als 30 kn.  Und dann kommen noch die sehr komplexen Strömungsverhältnisse hinzu. Da das Mittelmeer 2-3 m tiefer liegt als der Atlantik, hat man eine permanente Strömung von West nach Ost mit ca. 1 kn. Der aktuelle Gezeitenstrom teilt sich dann noch in drei verschiedene Ströme – Strom vor der afrikanischen Küste, Strom im Hauptfahrwasser und Strom vor der spanischen Küste – auf. Kurzum, wenn man 2 Stunden nach Hochwasser in Gibraltar startet, kommt man bei moderaten Bedingungen gut nach Westen. Wenn da nicht noch das Problem mit den Orcas wäre.

Als wir vor 3 Jahren gestartet sind, hat es erstmals Angriffe (die offiziellen Stellen sprechen nicht von Angriffen sondern von Interaktionen) von Orcas auf Segelboote gegeben. Zuerst wurden diese vor der Küste vor Galizien / A Coruna gemeldet, dann auch vermehrt in der Straße von Gibraltar. Von Jahr zu Jahr haben diese Interaktionen der Orcas mit Segelbooten deutlich zugenommen. Man schätzt, dass allein mehr als 10 % aller Segelboote, die die Straße von Gibraltar befahren, Besuch von den Orcas bekommen haben. Warum die Orcas auf einmal ein solches Verhalten angenommen haben, ist auch für Wissenschaftler noch ein Rätsel.

Auch wir haben immer wieder die Diskussionen über das Problem unter Seglern verfolgt, aber uns bis dato noch keine allzu großen Gedanken gemacht. Erst jetzt, wo wir kurz vor der Passage stehen, kommt auch für uns der Gedanke auf, was ist, wenn auch wir Besuch von einer Gruppe Orcas bekommen.

Gut, wir haben ein Stahlboot. Unser Ruderblatt werden die Orcas nicht abbeißen können. Da sie aber in der Regel mit hoher Geschwindigkeit von Achtern ein Schiff rammen, kann auch bei unserer BIJOU Schaden an der Ruderanlage entstehen. Insbesondere ist die hydraulische Steuerung den Kräften eines mehrere Tonnen schweren Orcas nicht gewachsen.

Für uns haben wir beschlossen, auf das Prinzip – WIRD SCHON GUT GEHEN – gesetzt, kommen doch fast 90 % ohne Orca-Interaktion durch die Straße von Gibraltar. Auch die monatlichen Meldungen über Orca-Interaktion lassen uns ein wenig beruhigter stimmen, waren sie doch allesamt im Seeraum vor Tanger auf der marokkanischen Seite.

Der Wecker wurde auf 6:00 Uhr gestellt und um 6:30 Uhr haben wir dann die Leinen in Porto Alcaidesa gelöst. Von Anfang an war die Anspannung groß, mussten wir uns doch erst einmal in der Bay of Gibraltar im Dunkeln auf die vielen Ankerlieger und die Ein- und Ausfahrende Großschifffahrt konzentrieren. Als wir dann in die Straße von Gibraltar einbogen, ging so langsam die Sonne auf und wir hatten noch einmal einen herrlichen Blick auf die afrikanische Küste.

Ausfahrt aus der Bay of Gibraltar mit Blick auf Marokko

Mit ordentlicher Maschinenfahrt und noch etwas mehr als 1 kn Gegenstrom ging es flott in Richtungen Westen. Dann auf Höhe von Tarifa bekamen wir eine Notfunkspruch mit. Eine Segelyacht etwa 10 sm vor uns setzte einen PAN-PAN-PAN-Notruf ab (eine UKW-Seenotfall-Meldung an Tarifa-Radio) und meldete heftige Interaction von zwei großen Orcas. Tarifa-Radio übernahm die weitere Abwicklung des Seenotfalls und schickte der Segelyacht eine Schlepphilfe.

Für uns war diese Meldung der Auslöser für einen extrem hohen Adrenalinspiegel. Jetzt waren die Orcas doch auf die spanische Seite gewechselt. Da wir keine andere Möglichkeit sahen, als dicht unter Land weiterzufahren, und zu hoffen, dass für die beiden Orcas der Spieltrieb für heute gesättigt ist. Von nun an starrten Geli und ich nur noch den Horizont ab auf der Suche nach den Rückenflossen der Orcas.

Als wir gegen 13:30 das Cabo Trafalgar passierten, mussten wir noch durch ein Gebiet mit Thunfischnetzen schlüpfen. Als wir dieses passiert hatten, fiel so langsam der Adrenalinspiegel bei uns, da auf diesem Streckabschnitt von Cabo Trafalgar nach Cadiz im Jahr 2023 noch keine Orca-Sichtung gemeldet wurden.

Gott sei Dank war es dann auch so und der Rest des Törns verlief ohne weitere Vorkommnisse. Um 19:10 Uhr lag die BIJOU fest in der Marina America / Cadiz. Nach all der Anspannung schmeckte das Anleger-Bier heute besonders gut.

Blick vom Liegeplatz auf den Anleger der Kreuzfahrtschiffe

Nachtrag: Im laufe des Tages hat es zwischen Tarifa und Barbate noch 5 weitere Interaktionen mit Orcas auf Segelyachten gegeben. Man muss auch mal Glück haben!